📰 Reaktivierung rückt auf die Agenda In der Oberlausitz werden die Rufe nach einer Wiederinbetriebnahme der weitgehend stillliegenden Schienenverbindung zwischen Zittau und Löbau lauter. Der Zittauer Stadtrat hat im April 2025 einstimmig ein deutliches Signal gesendet und die Reaktivierung eingefordert. Rückenwind kommt aus Dresden, denn im Doppelhaushalt 2023/24 des Freistaats sind Mittel für vorbereitende Schritte bereits vorgesehen. Befürworter verweisen auf schnellere und verlässlichere Verbindungen Richtung Dresden sowie in den tschechischen Raum um Liberec, während Kritiker auf eine nüchterne Abwägung von Nutzen und Kosten pochen.
🕰️ Historischer Hintergrund Die Strecke wurde am 10. Juni 1848 durch die Löbau‑Zittauer Eisenbahngesellschaft eröffnet und 1871 von den Königlich Sächsischen Staatseisenbahnen übernommen. Nach Kriegszerstörungen und der Sprengung mehrerer Viadukte war die Verbindung ab August 1945 wieder durchgängig befahrbar und gewann durch geopolitische Veränderungen an Bedeutung. Später setzte der Rückzug ein: 1998 wurde der Nahverkehr Zittau–Löbau abbestellt, 1999 folgte die Stilllegung zwischen Oberoderwitz und Herrnhut, 2003 zwischen Herrnhut und Niedercunnersdorf. Heute ist nur der Südabschnitt Zittau–Oberoderwitz als Hauptbahn in Betrieb, der übrige Teil gilt als Nebenbahn beziehungsweise ruht. Markant sind sieben Viadukte auf rund 33,95 Kilometern – ein Erbe mit entsprechendem Unterhaltungsaufwand.
🧩 Zerschnittene Zuständigkeiten Die Infrastruktur ist kleinteilig aufgeteilt: Seit 2007 ist der Abschnitt Niedercunnersdorf–Löbau an die Deutsche Regionaleisenbahn verpachtet, während Oberoderwitz–Niedercunnersdorf wieder bei DB Netz liegt. 2010 wurde der aktive Südteil an ein elektronisches Stellwerk angebunden, was die Betriebsqualität verbesserte. Im Sommer 2023 rollten im Zuge einer Umleitung erstmals seit 2002 wieder planmäßige Regionalexpress-Züge zwischen Ebersbach und Löbau – ein Praxistest, der die grundsätzliche Betriebsfähigkeit erkennen ließ, jedoch mit Zusatzvorgaben wie Lotsenpflicht auf DRE-Abschnitten und Geschwindigkeitsgrenzen einherging.
⚖️ Spannungsfeld der Planungen Parallel zur Reaktivierungsdebatte leitete die Bahn 2019 ein Planfeststellungsverfahren für einen Teilrückbau zwischen Oberoderwitz und Niedercunnersdorf ein, einschließlich Ersatzneubau einzelner Bauwerke. Bürgerinitiativen wandten sich gegen Entwidmungstendenzen und verwiesen auf die verkehrliche und wirtschaftliche Perspektive einer durchgehenden Schienenverbindung. Überregional betonen Befürworter die Einbettung in den internationalen Entwicklungsraum Liberec–Zittau 2030 sowie den Wunsch Tschechiens, die Strecke – falls die direkte Route Zittau–Görlitz über Polen nicht ausgebaut werden kann – perspektivisch in die Transeuropäischen Netze zu integrieren.
📊 Fakten für eine belastbare Entscheidung Für die Reaktivierung braucht es belastbare Zahlen: Welche Investitionen sind für Dämme, Brücken und Stationen erforderlich, und welche Instandhaltung fällt langfristig an? Welche Fahrzeiten nach Dresden und Bautzen sind realistisch, und welchen Nachfrageeffekt erzielt die Strecke gegenüber bestehenden Bus- und Bahnangeboten? Die temporäre Nutzung im Jahr 2023 liefert Hinweise auf die Machbarkeit, ersetzt aber keine Wirtschaftlichkeitsrechnung inklusive Folgekosten – von Personal über Sicherungstechnik bis zum laufenden Betrieb.
- Kostenrahmen für Infrastruktur und Unterhalt klären
- Realisierbare Fahrzeiten und Taktangebote bewerten
- Nachfragepotenziale gegenüber Alternativen quantifizieren
- Folgekosten für Betrieb und Technik vollständig berücksichtigen
🧭 Konservative Leitplanken und Szenarien Aus konservativer Sicht ist die Reaktivierung eine Option mit Chancen, aber ohne Freifahrtschein. Der Freistaat sollte eine transparente Kosten‑Nutzen‑Analyse vorlegen und unterschiedliche Szenarien – Teil- versus Vollreaktivierung – gegenüberstellen. Ebenso braucht es ein klares Betriebskonzept, das Takt, Fahrzeuge, Schnittstellen zu Trilex- und RE-Linien sowie die Anforderungen auf DRE-Abschnitten verbindlich regelt. Zugleich gilt es, Doppelstrukturen zu vermeiden: Rückbau hier und Reaktivierung dort schließen sich aus.
- Kosten‑Nutzen‑Analyse mit Szenarienvergleich veröffentlichen
- Betriebskonzept mit Takt, Fahrzeugen und Schnittstellen festlegen
- Doppelstrukturen verhindern und Prioritäten konsistent setzen
🚉 Ausblick für die Region Tragen die Zahlen, kann die Verbindung Zittau–Löbau ein Baustein für verlässliche, grenzüberschreitende Verbindungen werden. Tragen sie nicht, sind zielgenaue Alternativen – etwa Busbeschleunigung und Knotenoptimierung – ehrlicher gegenüber Steuerzahlern und Fahrgästen. Die Erfahrungen aus 2023 zeigen Machbarkeit, nicht jedoch automatisch Wirtschaftlichkeit. Die Entscheidung liegt nun in einer transparenten Abwägung zwischen regionalökonomischem Nutzen und dauerhaften Folgekosten.
🗨️ Kommentar der Redaktion Ohne harte Kosten‑Nutzen‑Bilanz darf es keine Symbolpolitik geben. Erst die Zahlen, dann die Strecke. Der Freistaat muss die Reaktivierung wie ein strenges Investitionsprojekt behandeln: klare Verantwortlichkeiten, belastbare Annahmen, keine Parallelstrukturen. Wenn die Wirtschaftlichkeit nicht nachweisbar ist, ist ein Nein die ehrliche Konsequenz – und Mittel sind konsequent in Busbeschleunigung und Knoten zu lenken. Wenn sie nachweisbar ist, dann nur mit schlankem Betrieb, stabilem Takt und eindeutigen Schnittstellen zu Trilex- und RE-Linien sowie verlässlich erfüllten Anforderungen auf DRE-Abschnitten.