📰 Vorstoß aus dem Wirtschaftsressort Die Bundesregierung erwägt einen spürbaren Eingriff in die Lohnfortzahlung: Nach Überlegungen aus dem Wirtschaftsressort soll der erste Krankheitstag künftig nicht mehr vergütet werden. Im Raum steht damit faktisch eine Kürzung des Monatseinkommens. Gewerkschaften warnen vor „fünf Prozent weniger Lohn“, Arbeitgeber verweisen auf stark gestiegene Ausfallkosten. Der Vorstoß heizt die sozialpolitische Debatte im laufenden Reformherbst zusätzlich an.
📚 Historischer Hintergrund Seit Jahrzehnten gilt in Deutschland die Entgeltfortzahlung ab dem ersten Krankheitstag als Pfeiler der sozialen Marktwirtschaft, der Beschäftigte bei kurzfristigen Ausfällen schützt. In den vergangenen Jahren berichteten Krankenkassen und Institute über hohe Fehlzeiten und Belastungen für Betriebe. Laut arbeitgebernahem Institut der deutschen Wirtschaft sind die krankheitsbedingten Kosten binnen drei Jahren um rund zehn Milliarden Euro gestiegen. Wirtschaftsvertreter fordern in der Folge eine „Karenztag“-Lösung, wie sie andere Länder kennen. Politisch ist das Thema Chefsache: Die Ministerin positioniert den Vorstoß als Baustein einer „Agenda 2030“, die die Wettbewerbsfähigkeit stärken soll.
🧭 Kern des Plans Unternehmen könnten den ersten Krankheitstag künftig vom Lohn abziehen. Dies soll vermeintliche Fehlanreize reduzieren und Betriebe entlasten. Kritiker sehen darin eine Schwächung des sozialen Schutzes und warnen vor „Präsentismus“: Beschäftigte könnten krank zur Arbeit gehen und Kolleginnen und Kollegen anstecken, was Ausfälle am Ende verlängern würde. Eine aktuelle ZEW-Auswertung im AOK‑Fehlzeitenreport mahnt hier ausdrücklich zur Vorsicht.
🗂️ Reaktionen aus Verbänden Sozial- und Arbeitnehmerverbände reagieren geschlossen ablehnend. Der VdK spricht von einem „massiven sozialen Rückschritt“. Die DGB-Führung warnt, der Wegfall eines vergüteten Arbeitstags schlage für Beschäftigte unmittelbar zu Buche: „fünf Prozent weniger Lohn“ seien für Geringverdiener und Alleinerziehende kaum zu verkraften.
⚕️ Ärztliche Perspektiven Aus der Praxis kommen differenzierte Hinweise. Statt pauschaler Einschnitte werden Teilzeit‑Krankschreibungen als flexiblere Lösung genannt, die sich in Skandinavien bewährt hätten. Damit ließen sich Ausfälle abmildern, ohne kranke Mitarbeiter in den Präsenzzwang zu drängen.
⚖️ Abwägung von Chancen und Risiken Konservative Reformpolitik misst soziale Sicherung am doppelten Anspruch von Verantwortung und Belastbarkeit. Der ins Auge gefasste Karenztag adressiert realen Kostendruck und soll Fehlanreize dämpfen; zugleich birgt er soziale Risiken am unteren Einkommensrand und gesundheitspolitische Nebenwirkungen. Bevor ein solcher Einschnitt kommt, braucht es eine belastbare Folgenabschätzung, klare Schutzklauseln für Niedriglöhne und praxistaugliche Alternativen wie Teilzeit‑Krankschreibungen und Präventionsanreize. Eine Reform, die Wirtschaftskraft stärkt, darf die soziale Balance nicht unterlaufen – sonst wird die erhoffte Entlastung an anderer Stelle teuer.
📌 Prüfpunkte vor Beschluss Aus dem Fazit ergeben sich konkrete Leitplanken für die Ausgestaltung.
- Belastbare Folgenabschätzung der arbeits- und gesundheitspolitischen Effekte
- Klare Schutzklauseln für Niedriglöhne
- Praxistaugliche Alternativen wie Teilzeit‑Krankschreibungen
- Präventionsanreize in Betrieben
🗨️ Kommentar der Redaktion Ein Staat, der Leistung schützt, darf Fehlanreize nicht konservieren. Der Karenztag ist ein legitimer Hebel gegen steigende Ausfallkosten, sofern harte Schutzklauseln für Niedriglöhne gelten. Pauschale Alarmrufe ersetzen keine nüchterne Folgenprüfung; sie blockieren notwendige Modernisierung. Wer Wettbewerbsfähigkeit will, muss auch unbequeme Korrekturen zulassen und Prävention stärken. Ohne Reformehrlichkeit zahlen am Ende Beschäftigte und Betriebe doppelt.


