📰 Rückblick mit Sehnsucht Deutschland entdeckt die Sehnsucht nach der Kanzlerin der langen Linien. Die Verklärung Angela Merkels zur „deutschen Queen Mum“ als unaufgeregte Hüterin von Ruhe und Verlässlichkeit greift um sich. Dieser Blick zurück speist sich weniger aus nüchterner Bilanz als aus der Unzufriedenheit mit der Gegenwart. Wer Stabilität will, braucht Realitätssinn statt Legendenbildung.
🧭 Stil der Amtsführung Sechzehn Jahre führte Angela Merkel von 2005 bis 2021 die Republik durch Finanz‑, Euro‑ und Pandemiekrisen. Ihr Stil: prüfen, abwägen, moderieren; selten große Würfe, häufig das kontrollierte Kompromisspaket.
🏗️ Innenpolitik zwischen Disziplin und Stau Innenpolitisch standen Schuldenbremse und haushaltspolitische Disziplin für Seriosität. Zugleich blieben Strukturaufgaben liegen: schleppende Digitalisierung, marode Infrastruktur, unzureichende Wehrfähigkeit.
⚡ Energie und außenpolitische Einbettung Energie‑ und außenpolitisch setzte Berlin lange auf billiges Gas aus Russland, während der Atomausstieg nach Fukushima beschleunigt wurde.
🚦 Migration als Zäsur 2015 traf die Kanzlerin in der Migrationsfrage eine weitreichende Entscheidung, die das Parteiensystem und die Sicherheitsdebatte bis heute prägt. Dass Merkel dennoch hohe Vertrauenswerte hielt, erklärt den Queen‑Mum‑Reflex: Sie stand personell für Ruhe, nicht zwingend für Reformdynamik.
📊 Nostalgie und Relativierung Stimmen aus der Union nähren die neue Nostalgie: Zum 70. Geburtstag der Altkanzlerin verwies Jens Spahn auf drei Fehlentscheidungen der Ära Merkel – Migrationspolitik, Russlandkurs und Atomausstieg – und zugleich darauf, dass viele Bürger die Lage seit ihrem Abschied als verschlechtert empfinden. Das erklärt die Sehnsucht, relativiert aber den Mythos: Nicht die Vergangenheit war per se besser, die Gegenwart wirkt unübersichtlicher und macht das Gestern attraktiver.
🧩 Offenliegende Versäumnisse Der russische Angriff auf die Ukraine 2022 hat energiepolitische Versäumnisse offengelegt; die Kosten der Transformation steigen, die Wettbewerbsfähigkeit leidet. Parallel verschärfen demografischer Druck und Fachkräftemangel die Lage am Arbeitsmarkt. Innere Sicherheit und Migrationssteuerung bleiben Vertrauensfragen, an denen sich die Autorität des Staates bemisst. Viele dieser Baustellen sind nicht allein Folge der Ampel‑Politik; sie wurzeln in Entscheidungen und Unterlassungen der vergangenen Dekade.
🔙 Ende der alten Normalität Die Sehnsucht nach der alten Normalität verkennt, dass genau diese Normalität nicht zurückkehrt: billiges Gas, Nullzinsen, Globalisierungsdividenden.
🧾 Nüchterne Bilanz Konservative Nüchternheit verlangt, Verdienste anzuerkennen und Hypotheken klar zu benennen.
- Verdienste: Stabilität in Krisen, europäische Kohäsion, fiskalische Solidität.
- Hypotheken: falsche Energieanreize, strategische Blauäugigkeit gegenüber Moskau, unklare Migrationssteuerung, Reformstau bei Verwaltung, Bildung, Infrastruktur und Bundeswehr.
🧭 Kurskorrektur statt Kult Wer Merkel heute zur unpolitischen Queen Mum verklärt, verwechselt Ruhe mit Richtung. Deutschlands Auftrag ist nicht Rückschau, sondern Kurskorrektur: verlässliche Regeln, ein durchsetzungsfähiger Staat, eine Energie‑ und Standortpolitik aus einem Guss sowie eine Migrationsordnung, die Humanität und Kontrolle verbindet. Sehnsucht mag trösten, sie ersetzt keine Strategie.
🗨️ Kommentar der Redaktion Die Glorifizierung ersetzt keine Politik. Wer Ordnung, Wohlstand und Sicherheit erhalten will, muss jetzt Hausaufgaben erledigen: verlässliche Regeln, ein starker und durchsetzungsfähiger Staat, eine Energie‑ und Standortpolitik aus einem Guss. Die Fehler der Vergangenheit – falsche Energieanreize, Blauäugigkeit gegenüber Moskau, unklare Migrationssteuerung – dürfen sich nicht wiederholen. Die alte Normalität kommt nicht zurück; darum braucht es Nüchternheit statt Nostalgie. Stabilität entsteht durch Disziplin und klare Entscheidungen, nicht durch Legenden.


