🇺🇳 Verschärfter Ton in New York Vor der anstehenden Kür des nächsten UN-Generalsekretärs verschärft sich in New York der Ton. Die Vereinigten Staaten signalisieren, sich nicht an die übliche regionale Rotation gebunden zu fühlen, und drängen auf ein aus ihrer Sicht „leistungsorientiertes“ Auswahlverfahren mit Bewerbungen aus allen Weltregionen. In Lateinamerika, das sich turnusgemäß am Zug sieht, sorgt dies für Unruhe – zumal Moskau in ähnlicher Richtung argumentiert.
📜 Hintergrund und Verfahren Formell beginnt der Prozess, wenn Sicherheitsrat und Präsident der UN-Generalversammlung die Mitgliedstaaten in einem gemeinsamen Schreiben zur Einreichung von Vorschlägen auffordern. Anschließend empfiehlt der Sicherheitsrat eine Person, über die die Vollversammlung entscheidet. Die Rotation zwischen Weltregionen ist gelebte Praxis, jedoch nirgends völkerrechtlich fixiert. Die Wahl ist für 2026 vorgesehen, die neue Amtszeit beginnt am 1. Januar 2027.
🧭 US-Kurs auf Leistungsprinzip Aus Washington kommt der Vorstoß, die Suche bewusst zu öffnen. Die stellvertretende US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Dorothy Shea, plädiert für ein breites Kandidatenfeld und eine Entscheidung nach Eignung statt nach regionaler Zuteilung. Damit stellt die US-Seite die informelle Erwartung einer regionalen Reihenfolge ausdrücklich infrage.
🌎 Anspruch Lateinamerikas Viele Staaten in Lateinamerika und der Karibik reklamierten das nächste Vorschlagsrecht für sich. Panamas Vizebotschafter Ricardo Moscoso forderte, Profile und Führungserfahrung aus den Entwicklungsländern – namentlich aus Lateinamerika – müssten im Verfahren sichtbar gewürdigt werden. Für die Region geht es damit auch um symbolische Repräsentation an der UN-Spitze.
🇷🇺 Moskau setzt auf „Leistung“ Der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja bezeichnete die Rotation als Tradition, nicht als Regel, und erklärte „Leistung“ zum entscheidenden Kriterium. Der Hinweis zielt zugleich auf die Debatte, ob erstmals eine Frau die Organisation führen sollte.
🏛️ Rolle von Sicherheitsrat und Vollversammlung Prozedural bleibt es beim bewährten Ablauf: Nach dem Nominierungsaufruf werden Bewerbungen gesammelt, der Sicherheitsrat einigt sich anschließend auf eine Empfehlung an die Vollversammlung. Die praktische Machtbalance liegt damit zunächst beim Rat, bevor die Generalversammlung die Personalie bestätigt.
🔎 Mehr Transparenz ohne Rollenwechsel Transparenzoffensiven der vergangenen Jahre haben den Auswahlprozess sichtbarer gemacht. An den institutionellen Rollen und Gewichten ändert das indes nichts: Der Sicherheitsrat bleibt das zentrale Nadelöhr, die Vollversammlung bestätigt am Ende.
🧩 Machtfrage hinter der Methodik Der amerikanische Kurs ist mehr als ein Streit um Verfahren. Er signalisiert eine Neuvermessung von Einflusszonen in der multilateralen Ordnung. Wer am Ende überzeugt, wird nicht nur an Lebensläufen gemessen, sondern an der Fähigkeit, Erwartungen ganzer Regionen mit den Realitäten im Sicherheitsrat zu versöhnen.
⏳ Ausblick auf die Wahl 2026 Für Lateinamerika steht sichtbare Repräsentation auf dem Spiel, für die USA und Russland die Deutungshoheit über die Spielregeln. Die Wahl 2026 dürfte zum Gradmesser werden, ob die Vereinten Nationen zwischen Anspruch auf Leistungsauswahl und dem Bedürfnis nach ausgewogener Repräsentation einen tragfähigen Kompromiss finden.
🗨️ Kommentar der Redaktion Ein geregeltes Verfahren ist der Anker multilateraler Handlungsfähigkeit; informelle Gepflogenheiten sollte man nicht leichtfertig entsorgen. Leistung muss zählen, doch ohne verlässliche Erwartungen droht der Wettbewerb zur Machtarithmetik zu verkommen. Wer die Rotation als bloße Folklore abtut, riskiert den Zusammenhalt jener Mitglieder, die auf sichtbare Einbindung angewiesen sind. Umgekehrt darf das Rotationsprinzip nicht zur Sperre gegen geeignete Kandidaturen werden. Ein konservativer Kompromiss lautet: Verfahren klar einhalten, Leistung transparent bewerten, regionale Ansprüche respektvoll berücksichtigen – und die Entscheidung dort treffen, wo sie institutionell hingehört.


