⚖️ Neuer Vorstoß in der Krankmeldungsdebatte
Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, hat sich für eine Reform der Krankschreibungspraxis in Deutschland ausgesprochen. Patienten sollten künftig erst nach mehreren Tagen Krankheit eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erhalten. „Wir müssen weg von der Kultur, bei jedem Schnupfen sofort zum Arzt zu gehen“, sagte Gassen der „Bild am Sonntag“. Ziel sei es, das System zu entlasten und die Eigenverantwortung der Arbeitnehmer zu stärken.
📊 Hintergrund: Belastung durch hohe Krankmeldungen
In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Krankschreibungen in Deutschland stark gestiegen. Laut einer aktuellen Analyse der Krankenkassen lagen die Fehlzeiten 2024 auf dem höchsten Stand seit zwei Jahrzehnten. Hauptursachen waren Atemwegserkrankungen, psychische Belastungen und Muskel-Skelett-Beschwerden. Gassen sieht darin ein Symptom überzogener Absicherung und fordert mehr Gelassenheit im Umgang mit leichten Erkrankungen.
🏛️ Unterstützung und Kritik aus Politik und Wirtschaft
Während Arbeitgeberverbände den Vorschlag begrüßen, reagierten Gewerkschaften und Sozialpolitiker mit scharfer Ablehnung. SPD-Gesundheitsexperten warnten, eine spätere Krankschreibung könne dazu führen, dass Erkrankte länger arbeiteten und dadurch Kollegen ansteckten. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) hingegen lobte die Initiative als „realistischen Beitrag zur Entlastung des Gesundheitswesens“.
💬 Digitalisierung und Eigenverantwortung im Fokus
Gassen sprach sich zudem für eine Vereinfachung der digitalen Krankmeldung aus. Die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) solle künftig automatisch an Krankenkassen und Arbeitgeber übermittelt werden. Gleichzeitig betonte er, das Vertrauen zwischen Arzt und Patient müsse gewahrt bleiben. „Es geht nicht um Misstrauen, sondern um Maß und Mitte.“
🗨️ Kommentar der Redaktion
Der Vorstoß von Andreas Gassen ist unbequem, aber überfällig. Ein Gesundheitssystem, das jede Erkältung zur Verwaltungssache macht, ist auf Dauer nicht tragfähig. Zwischen Eigenverantwortung und Fürsorge liegt ein schmaler Grat – doch wer Leistungsfähigkeit erhalten will, muss auch Zumutbarkeit neu denken. Vernunft ist kein Gegner der Solidarität.