Am 22. Juni 1945, nur wenige Wochen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, geschah in der Oberlausitz eines der dramatischsten Kapitel der regionalen Nachkriegsgeschichte: Innerhalb weniger Stunden wurden rund 24.000 deutsche Einwohner aus dem sogenannten Zittauer Zipfel vertrieben – jenen Gebieten östlich der Neiße, die heute zu Polen gehören.

Ein Befehl, vier Stunden, eine verlorene Heimat
Der Zittauer Zipfel – ein lang gestrecktes Gebiet mit Ortschaften wie Reichenau, Kleinschönau, Großporitsch, Oberullersdorf und Hermsdorf – war bis Kriegsende Teil Sachsens. Doch mit der Festlegung der Oder-Neiße-Grenze durch die Alliierten ging dieses Territorium an Polen über. Am 20. Juni 1945 wurde die Grenze offiziell gezogen – zwei Tage später, am 22. Juni, begann die zwangsweise Räumung.

Ein sowjetischer Befehl zwang die deutschen Bewohner, ihre Heimat binnen weniger Stunden zu verlassen. Wer sich weigerte oder nicht schnell genug packte, musste mit Gewalt, Verlust oder Schlimmerem rechnen. Viele Familien wurden von Lastwagen abgeholt oder mussten zu Fuß mit dem Nötigsten in Richtung Westen fliehen.

Was blieb, war Stille – und später das Vergessen
In den Folgejahren verschwanden viele der verlassenen Orte.
Einige wurden abgerissen, andere verfielen, wieder andere verschwanden durch die Braunkohleförderung im späteren Tagebau Turow. Historische Dorfkirchen, Schulhäuser und Bauernhöfe blieben nur in Erinnerungen und alten Landkarten erhalten.

Zittau selbst, von einem wirtschaftlich und kulturell verbundenen Umland abgeschnitten, wurde zur abgelegenen Grenzstadt. Der jahrhundertealte Austausch mit den östlichen Nachbardörfern kam abrupt zum Erliegen.

Erinnerungskultur heute – ein leises Gedenken
Erst seit den 1990er Jahren wird in Deutschland verstärkt an diese Phase der Geschichte erinnert.
Heimatvereine, Ausstellungen, Zeitzeugenprojekte und grenzüberschreitende Initiativen bemühen sich seither, die Ereignisse vom Juni 1945 im Bewusstsein zu halten.

In Zittau und Umgebung erinnern Gedenktafeln, z. B. am Neißeufer, sowie Projekte wie „Spuren der Erinnerung“ an die verlorenen Dörfer und das Leid der Betroffenen. Auch in polnischen Gemeinden wie Bogatynia gibt es heute Ansätze zur gemeinsamen historischen Aufarbeitung.

Fazit: Ein Tag, der die Oberlausitz veränderte
Der 22. Juni 1945 war ein tiefer Einschnitt für die Menschen und die Region.
Er steht für Vertreibung, Verlust, Neubeginn – aber auch für Erinnerung und Versöhnung. Die Nachkommen der Vertriebenen, viele von ihnen heute noch in Zittau, Löbau oder Dresden lebend, tragen diese Geschichte weiter.

In einer Zeit, in der erneut Grenzen, Zugehörigkeit und Vertreibung diskutiert werden, mahnt dieses Datum: Frieden, Heimat und Miteinander sind keine Selbstverständlichkeit. Sie brauchen Erinnerung – und Engagement.

Von Redaktion

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