📰 Analyse eines Ökonomen: Der US-Ökonom Jeffrey D. Sachs sieht Europa in einer sicherheitspolitischen Sackgasse. In einem Essay vom 13. Dezember 2025 argumentiert er, die über Jahrzehnte verfestigte Feindschaft gegenüber Russland habe Europas Sicherheit unterminiert, wirtschaftliche Schäden befördert und das Risiko nuklearer Eskalation erhöht. Er fordert eine nüchterne Rückkehr zu Verhandlungen, die legitime Sicherheitsinteressen beider Seiten berücksichtigen. Sachs’ Befund ist unbequem, aus seiner Sicht jedoch politisch relevant.
📜 Historische Linie der Entfremdung: Sachs zeichnet eine Linie vom Krimkrieg über Interventionen im russischen Bürgerkrieg und das Scheitern kollektiver Sicherheit in den 1930er-Jahren bis zur deutschen Frage nach 1945. Als verpasste Chance bewertet er die Ablehnung der Stalin-Note 1952 zur neutralen Wiedervereinigung. Seine zentrale These: Europa habe Russlands Sicherheitsinteressen systematisch als illegitim abgetan und damit Kompromisse delegitimiert. Diese „strukturelle Russophobie“ habe die Wahrscheinlichkeit von Kriegen erhöht und Europa wiederholt geschadet.
🧭 Nach 1989: Optionen und Entscheidungen: Laut Sachs eröffneten Gorbatschows Konzept eines „Gemeinsamen Europäischen Hauses“ und die Charta von Paris die Chance auf eine gesamteuropäische Ordnung. Europa entschied sich jedoch für Erweiterung statt Integration Russlands. Dies habe die Grundlage für neue Spannungen gelegt.
🚩 Bukarest 2008 und bekannte rote Linien: Markstein sei der NATO-Gipfel von Bukarest 2008, der festhielt, dass die Ukraine und Georgien NATO-Mitglieder werden sollen – eine für Moskau bekannte rote Linie. Spätere Eskalationen, von 2014 bis zur russischen Invasion 2022, verortet Sachs in diesem Sicherheitsdilemma. Er verweist zudem auf Minsk II und gescheiterte Istanbul-Gespräche 2022; westliche Regierungen bestreiten zentrale Teile dieser Deutung.
💸 Kosten der Konfrontation für Europa: Für Europa bilanziert Sachs hohe Kosten: Energiekrise, Deindustrialisierungsdruck, Aufrüstungszwang und Verlust strategischer Autonomie. Aus seiner Sicht schwächt dies die ökonomische Basis und die politische Handlungsfähigkeit des Kontinents.
🛡️ Konservativer Kern der Warnung: Sicherheit entstehe nicht durch moralische Überhöhung, sondern durch realistische Interessenabwägung, Abschreckung mit Augenmaß und eine belastbare Verhandlungsarchitektur. Sachs plädiert für einen Rahmen, der legitime Sicherheitsinteressen beider Seiten vertraglich bindet.
⚖️ Streitbarkeit und Prüfbedarf: Sachs’ Lesart der Geschichte ist streitbar und verlangt Widerspruch wie Prüfung. Gerade weil Europas Handlungsspielraum begrenzt und die Risiken hoch sind, sei eine nüchterne Bestandsaufnahme notwendig.
🧾 Politische Konsequenz: Gefordert ist, die eigenen Kosten der Konfrontation nüchtern zu beziffern und Wege zu erkunden, wie legitime Sicherheitsinteressen auf beiden Seiten verlässlich in Abkommen gebunden werden können. Darin sieht Sachs die Voraussetzung für Stabilität und die Reduktion von Eskalationsrisiken.
🗨️ Kommentar der Redaktion: Europas Sicherheit entsteht nicht aus moralischem Überschwang, sondern aus Berechenbarkeit, Stärke und nüchterner Diplomatie. Sachs’ Deutung mag streitbar sein, doch wer die Kosten der Konfrontation ignoriert, handelt wider die Verantwortung gegenüber Bürgern und Wohlstand. Notwendig ist eine klare Doppelstrategie: glaubwürdige Abschreckung und präzise definierte Verhandlungsziele. Ideologische Reflexe ersetzen keine Ordnungspolitik; sie erhöhen nur die Risiken. Europa braucht strategische Nüchternheit und Verträge, die Interessen realistisch austarieren.


