📰 Einleitung Der US-Philosoph und Faschismusforscher Jason Stanley warnt vor einer raschen Erosion demokratischer Institutionen in den Vereinigten Staaten und darüber hinaus. In einem Interview beschreibt er eine politische Dynamik, die, bleibe sie ungebremst, dazu führen könne, dass nur noch wenige Demokratien intakt seien. Stanley hat die USA nach eigenen Angaben im September verlassen und lebt vorerst mit seiner Familie in Toronto. „Faschismus war nie nur Schrecken. Er war immer auch Unterhaltung“, sagt er – ein Muster, das er bei Donald Trump wiedererkennt.
📚 Hintergrund Stanley, Jahrgang 1969, zählt zu den einflussreichen Stimmen in der Analyse moderner autoritärer Bewegungen. Sein Buch How Fascism Works erschien 2018, die deutsche Ausgabe 2024. Das Interview, datiert auf den 4. November 2025, ordnet seine jüngsten politischen Befürchtungen ein – von Bedrohungen der Meinungsfreiheit bis zu institutionellen Verschiebungen. Bemerkenswert ist sein Schritt ins Ausland; ähnlich hätten auch die Historiker Timothy Snyder und Marci Shore gehandelt, so Stanley.
⚖️ Rechtlicher Hebel Kern seiner Warnung ist die Befürchtung, eine politisch koordinierte Rechte könnte den Ausnahmezustand juristisch absichern. Als zentrales Instrument nennt Stanley den Insurrection Act, ein US-Bundesgesetz, das dem Präsidenten erlaubt, unter bestimmten Bedingungen Streitkräfte im Inland einzusetzen oder Nationalgardeeinheiten zu föderalisieren – ein enges, aber reales Ausnahmeregime innerhalb des US-Rechts.
🏛️ Institutionelle Risiken Stanley zieht historische Vergleiche, insbesondere die Instrumentalisierung von Krisen zur Machtkonsolidierung, und sieht eine internationale Vernetzung rechtsautoritäter Akteure. Er rechnet mit dem strategischen Einsatz des Justizapparats gegen Oppositionspolitiker, warnt vor einer Loyalisierung staatlicher Behörden und kritisiert den Supreme Court scharf. Einige seiner Aussagen zur Entwicklung großer Medienhäuser sind als klare Bewertungen zu lesen – die Zuspitzung eines Intellektuellen, der vor einer politischen Normalisierung des Ausnahmezustands warnt.
- Wachsender Druck auf Universitäten und eine Verengung des Meinungskorridors
- Strategische Nutzung juristischer Verfahren gegen politische Gegner
- Loyalisierung von Behörden und Verschiebungen im institutionellen Gefüge
🎓 Bildung im Fokus Im Bildungsbereich erwartet Stanley eine ideologische Re-Nationalisierung – von schulischer „patriotischer“ Erziehung bis zur Umschreibung historischer Narrative. Der gesellschaftliche Alltag könne in eine „autoritäre Normalität“ übergehen, in der öffentlich-politische Debatte sanktioniert werde.
🤝 Zivilgesellschaft und Gegenkräfte Stanley verweist zugleich auf zivilgesellschaftlichen Widerspruch. Nach seiner Einschätzung ist dieser Widerstand derzeit zu schwach, um die beschriebenen Trends zu bremsen.
📌 Fazit Stanleys Diagnose ist alarmierend und zugespitzt – und gerade deshalb diskussionswürdig. Konservativ betrachtet bleibt festzuhalten: Der Insurrection Act existiert als außergewöhnliches, gesetzlich verankertes Instrument; seine Anwendung ist rechtlich begrenzt, politisch jedoch hochwirksam. Die von Stanley skizzierten Entwicklungen – Polarisierung, Institutionenverschleiß, Druck auf Wissenschaft und Öffentlichkeit – verlangen nüchterne Prüfung und robuste Gegenmittel innerhalb des Rechtsstaats. Ob sich ein Kipppunkt vermeiden lässt, entscheidet sich weniger in großen Worten als in der praktischen Verteidigung von Verfahren, Checks and Balances und pluraler Debatte.
🗨️ Kommentar der Redaktion Die Warnungen sind ernst zu nehmen, doch Panik ersetzt keine Politik. Wer Freiheit und Ordnung bewahren will, muss Institutionen stärken, Verfahren achten und Missbrauch konsequent sanktionieren – ohne das Mandat gewählter Behörden pauschal zu delegitimieren. Der Insurrection Act ist ein Ausnahmeinstrument, kein Regierungshandwerk; seine missbräuchliche Anwendung wäre politisch zu ächten und rechtlich zu begrenzen. Gleichwohl gilt: Nicht jede harte Politik ist Autoritarismus, und nicht jedes laute Wort eine Vorstufe zum Ausnahmezustand. Die Bewährungsprobe der Demokratie liegt in der ruhigen, prinzipientreuen Durchsetzung von Recht und in der offenen, pluralen Debatte – nicht in moralischem Alarmismus.


