📰 Einordnung und Zielsetzung Die EU-Kommission hat einen Fahrplan vorgelegt, der Europa bis 2030 in die Lage versetzen soll, sich im Ernstfall eigenständig zu verteidigen. Die Defence Readiness Roadmap setzt auf straffe Zeitvorgaben und verlangt von den Mitgliedstaaten, in Koalitionen kritische Fähigkeitslücken binnen fünf Jahren zu schließen. Der Schritt ist eine direkte Reaktion auf die Bedrohungslage durch Russland und setzt auf Koordination, Standardisierung sowie die rasche Beschaffung fehlender Systeme.
🧠Hintergrund Der Fahrplan übersetzt das im März präsentierte Weißbuch zur europäischen Verteidigung in konkrete Ziele, Termine und Messgrößen. Ausgangspunkt ist die Einschätzung, dass Russland Wirtschaft und Gesellschaft militarisiert und auf absehbare Zeit eine dauerhafte Bedrohung darstellt. Zugleich soll die europäische Verteidigungsfähigkeit eng mit der NATO verzahnt werden, um Doppelstrukturen zu vermeiden und Interoperabilität sicherzustellen. Die Kommission verweist auf den deutlichen Anstieg der Verteidigungsausgaben seit 2021 und hält fest, dass dieser Trend anhalten muss, um die ambitionierten Ziele zu erreichen.
🧩 Fähigkeitskoalitionen und Beschaffung Kern des Ansatzes sind Capability Coalitions der Mitgliedstaaten. Sie definieren, wer welche Fähigkeitslücke schließt, bis wann und mit welchen Projekten – flankiert durch EU‑Instrumente wie EDIP, den SAFE‑Rahmen für Vorfinanzierungen und den Europäischen Verteidigungsfonds EDF. Ziel ist es, fragmentierte nationale Beschaffung zu bündeln und den Anteil gemeinsamer, europäischer Beschaffungen zu erhöhen; bislang liegt er trotz eines 35‑Prozent‑Ziels deutlich darunter. Ab 2026 soll ein jährlicher Defence Readiness Report den Fortschritt bis zum Oktober‑Gipfel bilanzieren.
🚩 Vier europäische Flaggschiffe Zur Fokussierung der Mittel schlägt die Kommission vier prioritäre Vorhaben vor, die Fähigkeiten bündeln und beschleunigt verfügbar machen sollen.
- European Drone Defence Initiative: mehrschichtige Abwehr gegen Drohnen samt eigener Präzisionsfähigkeiten.
- Eastern Flank Watch: mehrdomäniges Überwachungs‑, Grenzschutz‑ und Abwehrsystem entlang der östlichen Außengrenze zu Land, zur See und in der Luft.
- European Air Shield: integrierte Luft‑ und Raketenabwehr, vollständig kompatibel mit dem NATO‑Führungs‑ und Kontrollsystem.
- European Space Shield: Schutz und Resilienz europäischer Weltraumkapazitäten, unter anderem Galileo/PRS, EO‑GOV‑Services und IRIS².
⏱️ Zeitplan und Meilensteine Der Europäische Rat soll die ersten beiden Flaggschiffe – Drohnenabwehr und Eastern Flank Watch – bis Ende 2025 als Priorität bestätigen; der operative Start ist für das erste Quartal 2026 vorgesehen. Erste Kapazitäten werden bis Ende 2026 erwartet. Die Drohnenabwehr soll bis Ende 2027 voll funktionsfähig sein, die Eastern Flank Watch bis Ende 2028. Air Shield und Space Shield sind für einen Start im zweiten Quartal 2026 angelegt, mit Priorisierung einschlägiger Projekte in EDF und EDIP noch im Jahr 2026.
🏠Industrie als Rückgrat Der Plan verknüpft Verteidigungsfähigkeit unmittelbar mit industrieller Leistungsfähigkeit: gefordert sind Skalierung der Produktion, Standardisierung, zügige Zulassungen und die Ausbildung von Fachkräften. Militärische Mobilität – das schnelle Verlegen von Truppen und Material über Grenzen – soll durch harmonisierte Verfahren und definierte Korridore beschleunigt werden. Sämtliche Vorhaben unterstützen die Ziele der NATO und stellen technische wie doktrinäre Interoperabilität in den Vordergrund.
📊 Messbarkeit und Berichtswesen Die Roadmap setzt auf klare Zeitachsen und überprüfbare Indikatoren. Mit dem ab 2026 jährlich vorgelegten Defence Readiness Report wird der Fortschritt systematisch erfasst und zum Oktober‑Gipfel bilanziert. Das schafft Verbindlichkeit für Koalitionen und Beschaffungsprozesse und erhöht den Druck, zugesagte Projekte fristgerecht zu liefern.
🎯 Fazit Der Fahrplan setzt die richtige Priorität: Verteidigungsfähigkeit entsteht nicht durch Deklarationen, sondern durch konkrete Projekte, klare Zeitachsen und überprüfbare Messgrößen. Die Messlatte liegt nun bei den Mitgliedstaaten – beim Geld, bei Disziplin in der gemeinsamen Beschaffung und bei der Bereitschaft, nationale Partikularinteressen zugunsten europäischer Standardisierung zurückzustellen. Die Roadmap benennt die zentralen Lücken und stellt Instrumente bereit, sie geschlossen anzugehen, garantiert aber keinen Erfolg. Entscheidend ist, dass Koalitionen rasch arbeitsfähig werden, Industrie und Logistik liefern und Europa die NATO‑Kompatibilität wahrt, ohne sich in Parallelstrukturen zu verlieren. Realistisch ist der Anspruch eigenständiger Abschreckungs‑ und Verteidigungsfähigkeit nur, wenn politische Entschlossenheit, Haushaltsprioritäten und industrielle Umsetzung dauerhaft zusammenfinden.
🗨️ Kommentar der Redaktion Diese Roadmap ist ein notwendiger Realitätscheck: Ohne gemeinsame Beschaffung, harte Prioritäten und strikte Standards bleibt Europas Sicherheitsversprechen hohl. Entscheidend ist, dass Haushalte und Industrie dem Zeitplan folgen – nicht umgekehrt. Wer jetzt zaudert, riskiert teure Doppelstrukturen und sicherheitspolitische Lücken, insbesondere gegenüber der klar benannten Bedrohung. Die NATO‑Kompatibilität ist nicht verhandelbar und muss Leitplanke jeder Entscheidung bleiben. Kurz gesagt: Weniger Ankündigungen, mehr Lieferung – und zwar europäisch, standardisiert, fristgerecht.