🇺🇸 Einleitung Der christliche Nationalismus prägt die US-Politik derzeit spürbar. Nach der Rückkehr Donald Trumps ins Weisse Haus hat sich die religiöse Rechte nicht nur als tragende Säule der Regierungskoalition behauptet, sondern ihren Einfluss auf Personalentscheidungen, Agenda und Rhetorik ausgebaut. Sichtbar sind ein neues Faith Office im Weissen Haus sowie Initiativen, die religiöse Anliegen als Querschnittsthema in Ministerien verankern sollen. Das Ziel ist normativ aufgeladen: Amerika «religiöser» zu machen und Politik aus dezidiert christlich-konservativer Perspektive zu ordnen. Kritiker warnen vor einer bewussten Vermengung von Religion und Staatsmacht.
🧭 Historische Wurzeln Die politische Mobilisierung weisser Evangelikaler reicht in die 1970er-Jahre zurück. Auslöser waren Auseinandersetzungen um den Entzug von Steuerprivilegien für Segregationsschulen und später die Abtreibungsfrage, flankiert von einer Allianz mit konservativen Katholikinnen und Katholiken. Getragen wird die Bewegung von der Erzählung einer «christlichen Nation», die religiöse Identität und politische Ordnung verknüpft. Der Soziologe Philip Gorski beschreibt ihren Kern als Dreiklang aus Freiheit, Ordnung und Gewalt: Freiheit vor allem für konservative christliche Männer, Ordnung für alle anderen – und notfalls Gewalt zur Durchsetzung dieser Ordnung.
🧱 Ideologische Netzwerke und Ziele Auffällig ist das Vordringen vormals randständiger Strömungen ins republikanische Machtzentrum. Rekonstruktionismus und Netzwerke der New Apostolic Reformation propagieren teils theonomische beziehungsweise dominionistische Ziele. Prominent ist das «Seven Mountain Mandate», wonach zentrale Sphären gesellschaftlicher Macht unter christliche Führung gestellt werden sollen.
- Familie
- Religion
- Regierung
- Medien
- Unterhaltung
- Bildung
- Wirtschaft
⛪ Institutionelle Verzahnungen Namen wie Paula White, die 2016 Trumps evangelikale Mobilisierung mitorganisierte, stehen für eine neue Verdichtung von persönlichen Netzwerken und politischer Infrastruktur. Verbindungen führender Republikaner zu charismatischen Kreisen untermauern diese Entwicklung und verhelfen dominionistischen Vorstellungen zu größerer Sichtbarkeit in Parteigremien und Regierungsnähe.
⚔️ Rhetorik der geistlichen Kriegsführung Parallel verbreitet sich die Sprache der «geistlichen Kriegsführung». Sie war im Vorfeld des 6. Januar 2021 sichtbar und prägt auch aktuelle politische Kommunikation. Wissenschaftler warnen, die Dämonisierung des Gegners fördere Entmenschlichung und Radikalisierung – mit potenziell destabilisierenden Folgen für das demokratische Miteinander.
🧒 Nachwuchsarbeit und Mobilisierung Die Bewegung professionalisiert ihre Rekrutierung. Turning Point USA und das Projekt «TPUSA Faith» gelten in Analysen als «Moral Majority des 21. Jahrhunderts» beziehungsweise als «Heritage Foundation» für Jüngere. Programmatik und Personal zielen auf langfristige Gestaltungshoheit in Kultur, Bildungsinstitutionen und Behörden.
🏛️ Strategische Roadmap Die Heritage Foundation hat mit «Project 2025» einen politisch-administrativen Fahrplan vorgelegt. Dessen Handschrift findet sich nach Darstellung der Quelle in zahlreichen Weichenstellungen wieder und fungiert als Leitfaden für Personalpolitik und Regulierungsprioritäten.
🕯️ Märtyrererzählung und Eskalationsrisiken Der gewaltsame Tod des TPUSA-Gründers Charlie Kirk im September wird in Teilen der religiösen Rechten zur Märtyrererzählung stilisiert. Das erzeugt mobilisierende Wirkung und dient als Begründung für Forderungen nach härterem staatlichem Vorgehen gegen politische Gegner. Beobachter sehen darin eine Dynamik, die Polarisierung verstärken und die Schwelle zur Legitimation von Gewalt senken kann.
⚖️ Fazit Ein konservativer Rechtsstaat misst Religionsfreiheit und Gewissensschutz für alle hoch. Wird religiöse Loyalität jedoch zum politischen Lackmustest, geraten Pluralismus und Gewaltenteilung unter Druck. Der christliche Nationalismus beansprucht, Ordnung moralisch zu fundieren, verschiebt aber die Linie zwischen legitimer Wertepolitik und illiberaler Machtausübung. Notwendig sind klare institutionelle Trennlinien zwischen Kirche und Staat, eine Sprache, die Gegner nicht dämonisiert, sowie nüchterner Respekt vor Verfassung, Minderheitenrechten und Verfahren. So lassen sich Freiheit und Ordnung dauerhaft sichern – ohne den Griff zur Gewalt.
🗨️ Kommentar der Redaktion Ein konservatives Gemeinwesen lebt von Religionsfreiheit, nicht von staatlich orchestrierter Frömmigkeit. Wer Glauben zur Eintrittskarte in die Macht macht, schwächt die Autorität des Rechts und gefährdet das Vertrauen in Institutionen. Christliche Werte entfalten ihre Kraft durch Vorbild und Gemeinschaft, nicht durch Regierungsdekrete oder kulturkämpferische Rhetorik. Die politische Führung sollte jede Dämonisierung zurückweisen und tragische Ereignisse nicht als Vorwand für verschärfte Repression instrumentalisieren. Ein White-House-Faith-Ansatz kann nur dann legitim sein, wenn er strikt neutral bleibt und keine Konfession bevorzugt. Maßstab bleibt die Verfassung – sie schützt Religion, aber sie herrscht nicht im Namen einer Religion.


