Das Zittauer Fastentuch – Ein Meisterwerk der mittelalterlichen Kunst und Frömmigkeit

Das Zittauer Fastentuch von 1472 ausgestellt im Museum Kirche zum Heiligen Kreuz. Das große mittelalterliche Tuch zeigt 90 biblische Szenen in rechteckigen Bildfeldern mit einer zentralen Kreuzigungsdarstellung. Umgeben von gotischen Säulen und dezentem Museumslicht

Ein Kulturschatz von europäischer Bedeutung

In der sächsischen Stadt Zittau befindet sich ein Schatz von außergewöhnlichem historischem und kulturellem Wert: das Große Zittauer Fastentuch von 1472. Es ist das größte erhaltene Fastentuch nördlich der Alpen und eines der bedeutendsten sakralen Textilkunstwerke Europas. Es steht als Symbol für die religiöse Frömmigkeit, die künstlerische Leistung und den Wohlstand der Oberlausitz im späten Mittelalte

Was ist ein Fastentuch?

Fastentücher haben eine jahrhundertealte Tradition. Sie wurden in der Passionszeit, also während der 40-tägigen Fastenzeit vor Ostern, in Kirchen vor den Hochaltar gehängt. Das Tuch verhüllte den Blick auf den Altar und sollte die Gemeinde zur Buße, zur inneren Einkehr und zum Nachdenken über das Leiden Christi anregen.

Der Gedanke dahinter: Das Verbergen des prächtig geschmückten Altars sollte die äußere Reduktion und innere Konzentration unterstützen. Dabei wurde das Tuch oft erst am Karsamstag oder Ostersonntag wieder entfernt.

Herkunft und Auftraggeber

Das Zittauer Fastentuch wurde im Jahr 1472 gefertigt. Der Auftrag kam von wohlhabenden Bürgern der Stadt Zittau, die im Mittelalter eine blühende Handels- und Tuchmacherstadt war. Die Finanzierung durch die Bürgerschaft zeigt den hohen Stellenwert, den Frömmigkeit, Glaubenspflege und soziale Verantwortung damals hatten.

Der genaue Künstler des Tuchs ist unbekannt, jedoch lässt die stilistische Ausführung auf eine professionelle Werkstatt schließen, vermutlich in Böhmen oder der Oberlausitz.

Das große Zittauer Fastentuch im Detail

Dimensionen:

  • 8,20 Meter hoch
  • 6,80 Meter breit

Damit konnte es den gesamten Hauptaltar der damaligen Johanniskirche in Zittau vollständig verhüllen.

Material:

  • Leinwand, bemalt mit Pigmentfarben, teilweise mit pflanzlichen und mineralischen Bindemitteln.

Inhalt:

Das Tuch ist in 90 Bildfelder unterteilt. Es erzählt in einer Art Bilderbibel die gesamte Heilsgeschichte von der Schöpfung bis zum Jüngsten Gericht.

Die Bildfolge ist systematisch aufgebaut:

  • Oben: Szenen aus dem Alten Testament
  • Unten: Szenen aus dem Leben Jesu
  • Mittig: Die Passion – also das Leiden und Sterben Jesu – als zentrales Thema der Fastenzeit

Funktion:

Für die mittelalterlichen Gläubigen, von denen die Mehrheit nicht lesen konnte, war das Fastentuch ein wichtiges Lehrmittel. Es ermöglichte ihnen, die zentralen Glaubensinhalte durch Betrachtung und Meditation zu erfassen – eine Art „Bibel für das Volk“.

Kunstgeschichtliche Bedeutung

Das Zittauer Fastentuch ist ein Paradebeispiel für spätmittelalterliche Bildtheologie. Es verbindet Elemente der Gotik mit volkstümlicher Frömmigkeit. Die Figuren sind ausdrucksstark, erzählerisch und bewusst didaktisch gestaltet – weniger realistisch als symbolhaft.

Vergleichbare Werke sind äußerst selten. In dieser Größe, Vollständigkeit und Qualität ist das Zittauer Tuch einzigartig. Es gehört zu den bedeutendsten erhaltenen Textilwerken der spätmittelalterlichen Sakralkunst in Europa.

Das Schicksal des Fastentuchs

Verlust und Wiederentdeckung:

Während des Zweiten Weltkrieges wurde das Fastentuch aus Sicherheitsgründen ausgelagert. Es gelangte nach Kriegsende in die Sowjetunion und galt jahrzehntelang als verschollen.

Erst 1994 entdeckte man es in einem Lager in der Ukraine wieder – beschädigt, aber weitgehend vollständig. Nach aufwendigen diplomatischen Verhandlungen und umfangreicher Restaurierung kehrte es 1995 nach Zittau zurück.

Das kleine Fastentuch

Zittau besitzt nicht nur das große Fastentuch von 1472, sondern auch ein weiteres, sogenanntes „Kleines Fastentuch“ aus dem Jahr 1573. Es zeigt im Zentrum eine Darstellung des Gekreuzigten, umgeben von den Werkzeugen der Passion (Arma Christi) und weiteren Symbolen.

Dieses Tuch ist zwar deutlich kleiner, aber künstlerisch und theologisch ebenso bedeutend. Es wurde vermutlich für eine Seitenkapelle gefertigt und diente ebenfalls der liturgischen Fastenzeit.

Heute: Ein moderner Museumsraum für ein mittelalterliches Meisterwerk

Das Zittauer Fastentuch wird heute im Museum Kirche zum Heiligen Kreuz präsentiert. Dafür wurde ein eigener Ausstellungsraum geschaffen, der das fragile Tuch unter perfekten konservatorischen Bedingungen zeigt:

  • Geregelte Luftfeuchtigkeit
  • Konstante Temperaturen
  • Gedämpftes Licht zum Schutz der Farben

Digitale Medien, Übersetzungen und interaktive Tafeln ermöglichen den Besuchern, jede Szene des Fastentuchs im Detail zu verstehen.

Bedeutung für die Region und Europa

Das Fastentuch ist mehr als ein Kunstwerk. Es ist:

  • Ein Zeugnis des Glaubens
  • Ein Beweis für die kulturelle Blüte der Oberlausitz im Mittelalter
  • Und ein europäisches Kulturerbe mit Strahlkraft weit über die Region hinaus

Es zieht Besucher aus ganz Deutschland, Tschechien, Polen und darüber hinaus an und ist ein identitätsstiftendes Symbol für die Stadt Zittau.

Besuchsinformation

📍 Museum Kirche zum Heiligen Kreuz, Zittau
🕒 Öffnungszeiten: ganzjährig, variieren je nach Saison
🎟️ Tickets: vor Ort oder online buchbar
🌐 Mehr Infos: www.zittauer-fastentuch.de

Von Redaktion

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