Zweifel an Wahlergebnis in Polen – Tusk fordert Neuauszählung

Polen vor der Entscheidung – Tusk fordert Neuauszählung nach umstrittener Präsidentenwahl

Warschau/Zittau, 22. Juni 2025 – In Polen wachsen die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der jüngsten Präsidentschaftswahl. Karol Nawrocki, Kandidat der rechtsnationalen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), hatte den zweiten Wahlgang überraschend knapp gewonnen – doch das Ergebnis ist noch nicht rechtskräftig. Ministerpräsident Donald Tusk fordert nun die Neuauszählung zahlreicher Stimmen. Über 10.000 Beschwerden sind beim Verfassungsgericht eingegangen. Das Land steht vor einer demokratischen Nagelprobe.

Ein Wahlsieg mit Nachgeschmack

Mit 50,9 Prozent der Stimmen setzte sich der Historiker Karol Nawrocki gegen den liberalen Gegenkandidaten Rafał Trzaskowski durch, den Bürgermeister von Warschau. Trzaskowski, ein Hoffnungsträger der pro-europäischen Bürgerplattform und persönlicher Favorit von Regierungschef Tusk, kam auf 49,1 Prozent – ein Rückstand von rund 370.000 Stimmen. Doch obwohl die Wahl rechnerisch entschieden scheint, ist der politische Streit darum längst nicht beendet.

Denn: Während der erste Wahlgang noch mit einem hauchdünnen Vorsprung an Trzaskowski ging und alle Umfragen ihn als Sieger sahen, sorgte der deutliche Umschwung im zweiten Wahlgang bei vielen Beobachtern für Verwunderung – und bei der Regierung für Alarm.

Tusk fordert Transparenz: „Wo es Zweifel gibt, muss gezählt werden“

Donald Tusk ließ am Sonntag keinen Zweifel daran, dass er ein Höchstmaß an Transparenz und Nachvollziehbarkeit einfordert: „Wenn das Vertrauen in demokratische Prozesse beschädigt wird, leidet das ganze Land. Deshalb sollten wir überall dort, wo es Zweifel gibt, die Stimmen erneut auszählen.“

Der Premier betonte, dass es ihm nicht darum gehe, das Wahlergebnis zu kippen, sondern die demokratischen Standards zu wahren, die die polnische Verfassung vorschreibt. Es gehe um die Wiederherstellung der öffentlichen Glaubwürdigkeit – und um die Stabilität des Landes in einer Zeit zunehmender politischer Polarisierung.

10.000 Beschwerden – Gericht vor Mammutaufgabe

Wie das polnische Verfassungsgericht mitteilte, gingen innerhalb weniger Tage nach der Wahl rund 10.000 offizielle Beschwerden ein – eine Rekordzahl. In einem Land, in dem Unregelmäßigkeiten bei Wahlen durchaus gemeldet werden, gilt eine solche Masse als außergewöhnlich.

Zu den Beschwerdeführern zählt auch das Wahlkampfteam von Trzaskowski. Es moniert unter anderem Unklarheiten bei der Auszählung, fehlerhafte Wählerlisten, verspätete Öffnung einzelner Wahllokale sowie Probleme mit der Briefwahl insbesondere bei Auslandsstimmen. Besonders in einigen ländlichen Regionen seien Auffälligkeiten registriert worden, bei denen die Zahl der abgegebenen Stimmen deutlich über dem Durchschnitt lag.

Erste Nachzählung angeordnet – weitere könnten folgen

Das Verfassungsgericht hat bisher in 13 von 32.000 Wahllokalen eine Nachzählung der Stimmen angeordnet. Doch Beobachter schließen nicht aus, dass diese Zahl in den kommenden Tagen noch steigt. Derzeit prüfen Richter und Wahlrechtsexperten jede einzelne Eingabe. Die Frist zur offiziellen Bestätigung des Wahlergebnisses läuft am 2. Juli ab. Erst dann könnte Nawrocki als Präsident vereidigt werden.

Nawrocki als Präsident: Gefahr für Tusks Reformkurs

Ein Amtsantritt Nawrockis hätte unmittelbare politische Folgen. Als Staatspräsident besitzt er in Polen das Recht, Gesetze mit einem Veto zu blockieren. Damit könnte er wichtige Reformprojekte der aktuellen Regierung, etwa in der Justiz oder im öffentlichen Rundfunk, torpedieren. Schon vor der Wahl hatte Nawrocki deutlich gemacht, dass er „die linksliberale Politik der Bürgerplattform beenden“ wolle.

Die Regierung Tusk sähe sich dadurch massiv in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt. Zwar überstand Tusk nach dem verlorenen Präsidentschaftsrennen ein Vertrauensvotum im Parlament, doch der innenpolitische Druck steigt. Der Streit um das Wahlergebnis könnte sich schnell zu einer Staatskrise ausweiten.

Politikwissenschaftler warnen: Gefahr für die Demokratie

Politische Beobachter in Warschau sprechen bereits von einer „Stunde der Wahrheit“ für die junge polnische Demokratie. Die Legitimität des Präsidialamts stehe auf dem Spiel. „Wenn die Wahl ohne vollständige Aufklärung bestätigt wird, verliert ein großer Teil der Bevölkerung das Vertrauen in das System“, warnt der Politologe Dr. Tomasz Grzegorczyk von der Uni Krakau.

Auch in Brüssel wird die Lage mit Sorge beobachtet. Die EU-Kommission hatte die Wahl mit diplomatischer Zurückhaltung kommentiert, betont aber die „unabdingbare Notwendigkeit freier, fairer und überprüfbarer Wahlen“ in allen Mitgliedstaaten.

Fazit: Polens Demokratie auf dem Prüfstand

Noch ist unklar, wie das Verfassungsgericht entscheiden wird. Doch schon jetzt steht fest: Diese Wahl hat Gräben vertieft, Misstrauen geschürt und die politische Landschaft Polens erschüttert. Ob eine Neuauszählung das Vertrauen wiederherstellen kann, wird auch davon abhängen, wie transparent, fair und zügig die Aufarbeitung erfolgt. Der 2. Juli wird ein entscheidender Tag für Polen – und für die Stabilität Mitteleuropas.

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