Offene Grenzen trotz Kontrolle: Warum Deutschland an der Grenze zu Österreich kaum Flüchtlinge zurückweist
Zittau/Berlin/Passau, 22. Juni 2025 – An den offiziellen Grenzübergängen zwischen Deutschland und Österreich stehen täglich Beamte der Bundespolizei bereit, kontrollieren Fahrzeuge, prüfen Ausweise und stellen Fragen. Doch die ernüchternde Bilanz: Nur ein Bruchteil der Flüchtlinge wird tatsächlich an der Einreise gehindert. Trotz der politischen Rhetorik von „Schutz der Außengrenzen“ und „konsequenter Kontrolle“ bleibt die Zahl der tatsächlichen Zurückweisungen verschwindend gering.
Was auf den ersten Blick wie ein politisches Versäumnis wirkt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Folge eines komplexen rechtlichen und europäischen Dilemmas.
Zahlen, die überraschen: 3 von 100 werden zurückgeschickt
Laut internen Daten der Bundespolizei werden an der Grenze zu Österreich nur etwa 3 % der aufgegriffenen Personen tatsächlich abgewiesen. Die restlichen dürfen trotz fehlender Dokumente oder Einreiseverbote ins Bundesgebiet einreisen – in der Regel unter Berufung auf das Asylrecht oder mangels rechtlicher Rückführungsgrundlage.
Diese niedrige Quote erstaunt insbesondere deshalb, weil die Debatte um „unkontrollierte Migration“ seit Jahren den politischen Diskurs bestimmt. Doch die Realität ist komplizierter als populäre Forderungen nach „harten Grenzen“ suggerieren.
Asylrecht schlägt Grenzregime
Der entscheidende Grund für die geringe Zahl an Zurückweisungen ist das geltende internationale Flüchtlingsrecht – und die Verpflichtung Deutschlands, dieses einzuhalten. Wer an der Grenze um Asyl bittet, darf grundsätzlich nicht zurückgewiesen werden, es sei denn, er oder sie reist aus einem sogenannten „sicheren Drittstaat“ ein, in dem Schutz gewährt wurde und die Rücküberstellung rechtlich abgesichert ist.
In der Praxis bedeutet das: Auch wenn eine Person aus einem sicheren Staat wie Österreich kommt, ist eine Zurückweisung nur bei klarer Registrierung und Zuständigkeit Österreichs im Sinne der Dublin-III-Verordnung möglich – und selbst dann ist das Verfahren langwierig, oft streitanfällig und mit hohem bürokratischen Aufwand verbunden.
Die Dublin-Verordnung – ein europäisches Relikt mit wenig Wirkung
Die Dublin-Verordnung, die die Zuständigkeit für Asylverfahren innerhalb der EU regelt, ist faktisch ausgehöhlt. Ursprünglich sollte das Land, in dem ein Flüchtling erstmals europäischen Boden betritt, auch für das Asylverfahren zuständig sein. Doch viele Länder an den Außengrenzen – wie Italien, Griechenland oder Kroatien – verweigern die Registrierung oder lassen bewusst Weiterreisen zu, um ihre überforderten Systeme zu entlasten.
Die Folge: Deutschland bleibt auf der Verantwortung für einen Großteil der Asylsuchenden sitzen, da Rücküberstellungen in andere EU-Staaten oft nicht möglich oder rechtlich nicht durchsetzbar sind. Selbst bei formal zuständigen Staaten wie Österreich gibt es oft kein konkretes Rücknahmeverfahren, das kurzfristig greifen könnte.
Grenzpolizei zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Die Bundespolizei und Landesbehörden leisten an der Grenze einen aufwendigen Kontrollaufwand. Allein an Übergängen wie Passau, Freilassing oder Kiefersfelden stehen täglich Dutzende Beamte im Einsatz – verstärkt durch mobile Kontrollteams, Kennzeichenerfassung und verdeckte Überwachung.
Doch selbst wenn eine Person ohne Papiere oder mit Einreiseverbot entdeckt wird, kann eine Zurückweisung nur erfolgen, wenn alle rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Das ist selten der Fall. In der Regel folgt dann die Überstellung in eine Erstaufnahmeeinrichtung, wo das Asylverfahren beginnt – oft mit ungewissem Ausgang.
Symbolpolitik oder humanitäre Notwendigkeit?
Die Situation offenbart ein grundlegendes Problem: Die Politik setzt auf sichtbare Maßnahmen wie Grenzkontrollen, doch diese haben kaum spürbare Wirkung auf die Zuwanderung selbst. Kritiker sprechen von „Symbolpolitik“, während andere warnen, dass eine restriktivere Handhabung des Asylrechts rechtsstaatliche Prinzipien gefährden würde.
Die Realität an der Grenze ist daher oft eine Gratwanderung: Zwischen staatlichem Kontrollanspruch, europäischer Verantwortungslosigkeit und dem Schutzbedürfnis verfolgter Menschen.
Fazit: Grenzen als politische Kulisse
An der bayerisch-österreichischen Grenze zeigt sich ein Dilemma, das längst europäische Dimensionen angenommen hat: Deutschland will kontrollieren, aber kann es oft nicht – rechtlich, politisch und praktisch. Ohne eine gemeinsame europäische Lösung für Asylverfahren, Grenzschutz und Verteilung von Schutzsuchenden wird sich daran kaum etwas ändern.
Solange bleibt die Grenze eine politische Kulisse – mit kontrolliertem Verkehr, sichtbaren Uniformen und statischer Symbolik. Dahinter aber liegt ein System, das seit Jahren auf dem Prüfstand steht – und dringend reformiert werden müsste.