Wölfe in der Oberlausitz: Zwischen Faszination, Furcht und Forderungen nach Abschuss
Zittau/Bautzen, 22. Juni 2025 – In der Morgendämmerung heulen sie wieder durch die Wälder bei Weißwasser, Boxberg und dem Zittauer Gebirge. Der Wolf ist in der Oberlausitz längst kein seltenes Tier mehr – er ist zurückgekehrt und breitet sich weiter aus. Was für Naturschützer ein Triumph über Jahrzehnte der Ausrottung ist, bringt viele Menschen in der Region an die Grenzen ihrer Toleranz.
Aktuelle Zahlen des Bundesamts für Naturschutz belegen: In Deutschland leben inzwischen über 1600 Wölfe, verteilt auf rund 180 Rudel. Ein Großteil davon – etwa 40 Rudel – ist allein in Sachsen registriert, mit einer auffälligen Dichte in der Oberlausitz. Die Wälder, Teichlandschaften und dünn besiedelten Gebiete bieten dem Wolf ideale Bedingungen. Doch die Rückkehr bringt auch Schattenseiten.
4000 tote Nutztiere – „Wir fühlen uns allein gelassen“
Die Zählung der gerissenen Tiere liest sich wie ein Bericht aus einem Krisengebiet: Über 4000 Schafe, Ziegen und Kälber wurden im vergangenen Jahr deutschlandweit Opfer von Wolfsattacken – ein Großteil davon in Ostdeutschland. Schäfer und Landwirte zwischen Großschönau, Niesky und Königshain berichten von nächtlichen Angriffen, verstörten Tieren und wachsender Verzweiflung.
„Der Staat lässt uns mit dem Problem allein“, klagt ein Landwirt aus dem Landkreis Görlitz. Er habe in nur drei Monaten neun Tiere verloren – trotz Herdenschutzzäunen. „Ich habe keine Nacht mehr durchgeschlafen.“
Oberlausitz als Brennpunkt – Naturschutz vs. Lebensrealität
In der Oberlausitz prallen zwei Welten aufeinander: Auf der einen Seite die Vision eines ökologischen Gleichgewichts mit dem Wolf als Symbol für Wildnis und Artenvielfalt. Auf der anderen Seite eine jahrhundertealte Kulturlandschaft, in der Weidetierhaltung, Tourismus und Landwirtschaft existenziell sind.
Viele Menschen sehen sich nicht nur wirtschaftlich, sondern auch emotional bedroht. Wanderer berichten von Wolfssichtungen in der Nähe von Spielplätzen oder Siedlungen. In Seifhennersdorf soll es bereits Sichtungen am helllichten Tag gegeben haben. Zwar sind bisher keine Übergriffe auf Menschen bekannt – die Angst bleibt dennoch.
Schießen oder schützen? – Politische Debatte spitzt sich zu
Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) setzt weiterhin auf Herdenschutzmaßnahmen, wie Elektrozäune und Hunde. In der Region wird das als realitätsfern empfunden. „Der Schutzstatus des Wolfs ist überzogen“, so ein Sprecher des Schäferverbands Sachsen. „Wir brauchen flexible Abschussregelungen, besonders bei sogenannten Problemwölfen.“
Die CDU Sachsen fordert ebenfalls eine Lockerung des Schutzstatus. Auch die FDP bringt regionale „Entnahmequoten“ ins Spiel, wie sie Frankreich oder Schweden bereits anwenden. Doch eine solche Änderung müsste auf EU-Ebene erfolgen – und ist politisch schwer durchzusetzen.
Wissenschaft warnt – Naturschutz mahnt zur Sachlichkeit
Während die öffentliche Debatte emotionaler wird, warnen Forscher vor einer Eskalation. Der Wolf spiele eine zentrale Rolle im Ökosystem, etwa durch die Regulierung von Wildbeständen. Die NABU-Ortsgruppe Görlitz mahnt: „Wölfe greifen keine Menschen an. Statt Panik brauchen wir Information und langfristige Koexistenzstrategien.“
Gleichzeitig wird auch innerhalb des Naturschutzes diskutiert, wie Schutz und Nutzung in Einklang gebracht werden können – besonders in Regionen wie der Oberlausitz, wo die Präsenz des Wolfes nicht theoretisch, sondern spürbare Realität ist.
Fazit: Die Oberlausitz am Scheideweg
Der Wolf ist gekommen, um zu bleiben – auch in der Oberlausitz. Doch die Frage, wie wir mit ihm leben wollen, ist offen. Die Region steht sinnbildlich für den deutschlandweiten Konflikt zwischen Artenschutz, ländlicher Lebenswirklichkeit und politischer Steuerung.
Wird der Wolf wieder zum Feindbild – oder gelingt es, neue Wege der Koexistenz zu finden? Die kommenden Jahre – und die politischen Entscheidungen in Brüssel, Berlin und Dresden – werden darüber entscheiden.